Die Kammer des Schreckens

Leinfelden-Echterdingen ist ein beschauliches Städtchen bei Stuttgart. Doch mit der schwäbischen Idylle und Beschaulichkeit könnte es bald vorbei sein. Denn die Stadthalle soll sich schon bald in die Kammer des Schreckens verwandeln: Der Historiker Daniele Ganser möchte dort nämlich einen Vortrag halten – und rund 1000 Gäste möchten diesen auch hören. Das kann nichts Gutes bedeuten, denn, Ganser ist umstritten – so warnt zumindest der SWR seine Leser im neusten Artikel. Umstritten sind allerdings auch die Berichte des SWR. Wir schauen deshalb genauer hin.

Wer nach der Lektüre des Artikels mit dem Titel “Umstrittener Historiker Daniele Ganser darf in Filderhalle sprechen” das Gefühl hat, ein antisemitischer Verschwörungstheoretiker würde in das beschauliche Leinfelden-Echterdingen einmarschieren, findet die Ursache für diesen Eindruck schnell:

Quelle: SWR

Ganze 7 mal werden Begriffe genutzt, die mit “Verschwörungstheorie” assoziiert sind und 8 mal Begriffe die mit “Antisemitismus” und “Holocaust” assoziiert sind. Allein drei mal erinnert der Autor den Leser daran, dass Michael Blume, sozusagen der zitierte Kronzeuge der Anklage, “Antisemitismusbeauftragter” sei. Bei dem eher kurzen Artikel ist dies nicht notwendigerweise dem schlechten Erinnerungsvermögen eines Lesers geschuldet.

Wenn der Tierschutzverein gegen den örtlichen Bürgermeister demonstriert, dann entsteht der Eindruck, der Bürgermeister stünde mit dem Tierschutz auf Kriegsfuß. Wird ein Umweltverband aktiv, stellt sich die Frage welche Umweltfrevel er begangen hat und sofern ein Antisemitismusbeauftragter protestiert, steht natürlich Antisemitismus im Raum. Dieser mediale “Trick” kann für die Diskreditierung von Personen angewandt werden, ohne sich durch Behauptungen oder Meinungen juristisch angreifbar zu machen. Das Prinzip ist verwandt mit dem Strohmann: Mit der Wahl des Interviewpartners bezieht man seine Position und schiebt mittels Kritik der anderen Seite die entsprechende Gegenposition zu.

Natürlich kann Kritik auch berechtigt sein. Es ist daher entscheidend, ob Aussagen oder Texte von Ganser die Vorwürfe von Blume belegen. Einer seiner Vorwürfe: “Ganser relativiere den Holocaust, wenn er diesen mit der Covid-Pandemie gleichsetze”. Der SWR verweist für dieses Zitat auf Aussagen von Blume:

Bei der Frage, welche Kritiker Ganser eine “Relativierung des Holocaust” vorwerfen, verweist der SWR auf Google und eine Suche nach “Daniele Ganser Kritiker”. Es gäbe dort mehr als zwei Beispiele. Diesem Tipp leisteten wir natürlich Folge:

Gleich an zweiter Position der Suchergebnisse: Der Artikel des SWR selbst. Auf Platz 3 der Suche: Der Artikel auf Wikipedia zu Daniele Ganser. In diesem findet sich ebenfalls eine Aussage von Blume mit diesem Vorwurf – entnommen aus der Esslinger Zeitung. Auf Platz 1 erscheint ein Artikel von T-Online, dessen Entstehung in den gleichen Zeitraum wie der Artikel des SWR fällt. Dieser sieht “Antisemitismus in Gansers Interviews” und verweist hierfür auf den BR (Bayerischer Rundfunk) – ohne eine präzisere Angabe zur Quelle. Unsere Suche nach einer derartigen Aussage beim BR blieb erfolglos. Im Rest bedient sich auch der Artikel von T-Online, wie schon der Artikel des SWR, wieder an den Zitaten von Blume.

Grund genug bei Blume selbst anzufragen, worauf dieser seine Vorwürfe gegen Ganser stützt:

Wir wollten beispielsweise in Bezug auf das Zitat “Ganser relativiere den Holocaust, wenn er diesen mit der Covid-Pandemie gleichsetze” von Blume wissen, ob und mit welcher Aussage Ganser den Holocaust mit der Covid-Pandemie gleichgesetzt habe.

Eine Antwort erhielten wir von Blume leider nicht.

Das vorläufige Ergebnis: Die Zuschreibung von Antisemitismus stützt sich im wesentlichen auf den unbelegten Vorwurf eines einzelnen Protagonisten, der aber durch eine Vielzahl an medialen Kanälen getrieben und multipliziert wird. Man erkennt auch, wie Belege innerhalb der Medien-Blase durch gegenseitiges Referenzieren gewissermaßen im Kreis zugeschoben werden oder “ins Leere” laufen. Mit wissenschaftlicher Arbeit oder seriösem Journalismus hat dies natürlich eher weniger zu tun. Mit diesem Vorgehen erzeugen die Medien vielmehr eine “Meinungswolke” mit dem Vorwurf des Antisemitismus um die Person Ganser. Diese Form der medialen Manipulation ist erfolgreich, wenn Ganser in den Köpfen der Leser als Antisemit und Verschwörungstheoretiker verhaftet bleibt.